Am 28. Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft – und bringt damit eine gesetzlich verbindliche Wende für die Barrierefreiheit digitaler Produkte und Dienstleistungen. Ziel ist es, Barrieren für Menschen mit Behinderungen abzubauen und gleichberechtigte Teilhabe im digitalen Raum zu ermöglichen. Besonders betroffen sind Unternehmen mit B2C-Angeboten, darunter Online-Händler, Banken, Versicherungen, Mobilitätsanbieter, Telekommunikationsunternehmen sowie Verlage und Plattformen, die digitale Inhalte vertreiben. Wer seine Leistungen hingegen ausschließlich im B2B-Bereich anbietet, ist vom Gesetz zwar ausgenommen, sollte aber dennoch die Sinnhaftigkeit der Vorgaben für sein Angebot prüfen und ggf. auch umsetzen.
Doch was bedeutet das konkret für diejenigen, die digitale Produkte konzipieren, gestalten und umsetzen? Wie verändern sich Arbeitsweisen in UX, UI und Entwicklung, wenn die Barrierefreiheit digitaler Produkte gewährleistet sein soll? Und welche Verantwortung tragen Unternehmen, um jetzt die Weichen richtig zu stellen?
Neue Maßstäbe in Konzeption und Design
Barrierefreiheit beginnt nicht beim Code – sie entsteht bereits in der frühen Phase der Konzeption und Gestaltung. Designerinnen und Designer müssen künftig nicht nur ästhetische, sondern auch funktionale Zugänglichkeit sicherstellen. Farben, Kontraste und Schriftgrößen dürfen nicht nur schön aussehen, sie müssen auch von Menschen mit Sehbeeinträchtigungen eindeutig wahrnehmbar sein. Texte müssen skalierbar sein, Navigationen logisch aufgebaut, Inhalte klar strukturiert. Ein gut gemeinter Hover-Effekt ersetzt keine barrierefreie Bedienung. Was nach Selbstverständlichkeit klingt, wird in der Praxis oft vernachlässigt.
Ebenso gilt: Visuelle Inhalte wie Bilder, Videos oder Icons benötigen alternative Texte oder Audiodeskriptionen – nicht als Zusatz, sondern als integraler Bestandteil der User Experience. Das Denken in mehreren Wahrnehmungsebenen wird für Kreative zur neuen Norm.
Entwickler stehen in der Verantwortung
Auch in der technischen Umsetzung steigen die Anforderungen an barrierefreie digitale Produkte deutlich. Entwickler:innen müssen künftig sicherstellen, dass digitale Angebote mit assistierenden Technologien wie Screenreadern oder Geräten zur Ausgabe von Braillezeilen reibungslos funktionieren. Dafür braucht es unter anderem semantisch korrektes HTML, gut eingesetzte ARIA-Rollen und ein durchdachtes Fokus-Management für die Navigation per Tastatur. Die Einhaltung der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) – aktuell Version 2.1, bald 2.2 – ist nicht mehr Kür, sondern Pflicht.
Ein besonderes Augenmerk gilt der Tastaturbedienbarkeit: Inhalte müssen ohne Maus oder Touchevent erreichbar sein. Formulare müssen korrekt beschriftet und Fehlermeldungen verständlich kommuniziert werden. All das erfordert nicht nur Know-how, sondern vor allem ein Umdenken in der täglichen Entwicklungsarbeit.
Wenn Barrierefreiheit in digitalen Produkten fehlt – was in der Praxis schiefläuft
Die Auswirkungen fehlender Barrierefreiheit zeigen sich meist in kleinen Details – mit großer Wirkung. Wenn ein Navigationsmenü nicht per Tastatur erreichbar ist, bleiben Nutzer:innen mit motorischen Einschränkungen außen vor. Wenn ein Screenreader lediglich „Button ohne Namen“ oder „unbeschriftetes Element“ ausgibt, fehlt die Orientierung. Auch Statusmeldungen, die ausschließlich über Farben vermittelt werden, können von Menschen mit Farbsehschwächen nicht interpretiert werden. Fehlt die Möglichkeit, Texte auf dem Smartphone zu vergrößern, brechen Nutzer:innen mit Sehbeeinträchtigungen den Besuch ab.
Selbst Produktbilder ohne Alternativtexte oder Formulare ohne sichtbare Labels führen dazu, dass digitale Angebote schlicht nicht nutzbar sind – und damit potenzielle Kunden ausgeschlossen werden. Barrierefreiheit ist also kein technisches Randthema, sondern ein zentrales Kriterium für Usability, Reichweite und Kundenbindung.
Zusammenarbeit wird zur Voraussetzung
Barrierefreiheit kann nicht von einer einzelnen Abteilung „mitgedacht“ werden – sie muss teamübergreifend verankert sein. Nur wenn Konzeption, Design und Entwicklung von Anfang an eng zusammenarbeiten, lassen sich Barrieren vermeiden, bevor sie entstehen. Der frühe Einsatz von Accessibility-Tools, strukturierte Reviews und gemeinsame Standards helfen dabei, Probleme nicht erst im letzten Projektabschnitt zu identifizieren. Denn was erst beim Go-Live auffällt, verursacht nicht nur Aufwand, sondern oft auch rechtliche Risiken.
Mehr als nur gesetzeskonform – echte Vorteile für Unternehmen
Wer Barrierefreiheit umsetzt, erfüllt nicht nur gesetzliche Vorgaben. Vielmehr verbessert sich auch die Nutzerfreundlichkeit für alle. Sauber strukturierter Code, klare Inhalte und verständliche Navigationen zahlen direkt auf ein besseres Nutzererlebnis ein. Zudem belohnen Suchmaschinen barrierefreie Websites mit besserem Ranking – ein Effekt, der sich messbar auf Sichtbarkeit und Traffic auswirken kann. Nicht zuletzt positionieren sich Unternehmen, die digitale Inklusion ernst nehmen, als verantwortungsbewusste und zukunftsorientierte Marken.
Fazit: Jetzt handeln und strategisch vorbereiten
Das BFSG verändert die digitale Landschaft spürbar – und der Stichtag am 28. Juni 2025 rückt näher. Barrierefreiheit muss fester Bestandteil der eigenen digitalen Strategie werden – das sichert nicht nur die Compliance der Vorgaben, sondern auch einen klaren Wettbewerbsvorteil. Unternehmen, Designer:innen und Entwickler:innen sollten die gesetzlichen Anforderungen genau kennen und frühzeitig Prozesse, Tools und Standards definieren.
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